In dieser Episode spreche ich Ernährungsberaterin und Life-Coach, Nadja Polzin, über Allergien und Unverträglichkeiten und die Rolle, die dabei Emotionen spielen. Nadja erklärt, wie Emotionen Krankheit nicht nur auslösen, sondern auch an der Wurzel der Heilung stehen.
Außerdem sprechen wir darüber:
- Dass Ursache und Wirkung einer Krankheit sich nicht immer auseinanderhalten lassen
- Wieso Krankheit für viele auch einen Nutzen hat
- Wie Emotionen und Allergie zusammenhängen
- Welche Rolle Ernährung spielt
- Welche Möglichkeiten wir haben, unsere Selbstheilungskräfte zu mobilisieren
Julia: Hallo Nadja! Du hast dir als ganzheitliche Ernährungsberaterin und Life-Coach einen Namen gemacht. Du bietest Workshops an zum Thema Ernährung und Lifestyle. Der Anlass für unser Interview heute war, dass du im kostenlosen Darm-Online-Kongress dabei warst. Den werden wir jetzt noch einmal neu starten. Ich hatte so im Hinterkopf: Aber die Nadja hat doch so etwas geschrieben … Die macht nichts mehr mit Allergien. Dann dachte ich, ich muss dich erst einmal fragen, was du jetzt überhaupt machst.
So haben wir gesagt, es wäre vielleicht ganz gut, hier im Podcast noch einmal ein Interview zu machen, damit wir sehen, wo deine Reise hingegangen ist. Ich habe nicht mehr ganz im Kopf, was du genau geschrieben hattest, aber ich fand es sehr eindrücklich, dass du geschrieben hast: «Ich habe meine eigenen Allergien überwunden. Die sind nicht mehr da, und darum habe ich beschlossen, dass ich jetzt nicht mehr über dieses Thema sprechen kann.» Ich fand das irgendwie spannend. Vielleicht magst du dazu etwas sagen?
Ernährung ist nicht alles
Nadja: Ja, das ist eine ganz spannende Geschichte.
Tatsächlich sind nach wie vor alle meine Klienten mit diesem Thema in Kontakt, und ich habe natürlich sehr viele Leute in den letzten Jahren auf der Reise mitgenommen. Ich habe jetzt fünf Jahre über Allergien und Unverträglichkeiten geschrieben und gesprochen, über Ernährung geschrieben und gesprochen und bin selbst irgendwann an den Punkt gekommen, wo ich das Gefühl hatte: Ich habe dazu jetzt eigentlich nichts mehr zu sagen.
Das ist der erste Bestandteil.
Der zweite ist, dass ich die Ernährungsumstellung und auch die Darmgesundheit immer als nur einen Teil gesehen habe. Es geht mir besser mit den Allergien. Ich habe nach wie vor diese Problematik. Ich habe nach wie vor Allergien und Unverträglichkeiten. Ich stelle die Ernährung um, die Symptome werden weniger. Ich bin körperlich wieder leistungsfähiger.
Aber die Heilung ist eben nicht auf dem Ernährungsweg passiert, sondern auf der emotionalen Ebene.
Wie führe ich mein Leben eigentlich? Was für Glaubenssysteme habe ich? Was für ein Mindset habe ich? Wie gehe ich durchs Leben? Welche Blockaden habe ich vielleicht? Wie führe ich meine Beziehungen?
Über die Ernährung zur Freiheit hin zum Thema Beziehungen
Und so hat sich das Thema weiterentwickelt. Weg von der Ernährung, weg von Nahrungsergänzungsmitteln, Probiotika, hin zu Beziehungen und natürlich zum grossen Thema Freiheit.
Das stand für mich im Mittelpunkt.
Ich will meine Ernährung nicht mein Leben lang so einschränken müssen, sondern ich möchte gern frei sein. Und das bedeutet, finde ich, auch, dass ich unterwegs an einer Tankstelle oder Autobahnraststätte mal ein Sandwich essen kann.
Und das war eben nicht möglich.
So bin ich über das Thema Freiheit auch zum Thema Beziehungen gekommen und habe mir angeguckt: Was heisst es denn eigentlich auf der psychosomatischen Ebene, eine Allergie oder Unverträglichkeit zu haben? Insofern bin ich nicht wirklich weg von dem Thema Allergien und Unverträglichkeiten, sondern habe mich einfach nur weiterentwickelt in meiner Erkenntnis: Was spielt denn eigentlich alles eine Rolle, wenn wir mit solchen Beschwerden zu tun haben?
Krankheit: Ursache und Wirkung
Julia: Ich fand das deswegen so spannend, weil ich mich das selbst schon gefragt habe. Es gibt ja viele Ernährungsberater, die aus ihrer eigenen Leidensgeschichte heraus – weil sie vielleicht Allergien haben oder Diabetes oder sonst etwas – daraus ihr Geschäft gemacht haben. Das macht ja auch Sinn. Man hat es selbst erlebt. Aber ich habe mich dann auch schon gefragt, wenn ich dann so in dieser Krankheit immer täglich drin bin und immer über diese Beschwerden spreche, kann es dann überhaupt zu Heilung kommen, wenn ich mich so auf das Thema fokussiere? Da hatte ich mich schon gefragt, ob nicht gewisse Ernährungsberater, die dann immer so um dieses Thema herumkreisen, eigentlich ihre eigene Heilung dadurch beinahe verhindern.
Nadja: Das ist gut möglich. Das kann ich mir ganz gut vorstellen. Wenn man sich diese Geschichte mit den Glaubenssätzen anguckt, dann ist eine Diagnose ja nichts anderes als die Beschreibung eines Zustandes oder einer Reaktion des Körpers. Solange ich an diese Reaktion und diese Diagnose so glaube, spielt der Körper das auch immer wieder ab. Das ist ganz spannend.
An der Heilpraktikerschule war es so, dass ganz viele Leute, während sie die Krankheiten lernen, die Krankheiten auch alle durchlaufen. «Morbus medicus», auch an vielen medizinischen Hochschulen ein Thema. Ich lerne das, ich stelle mir vor, wie der Körper das macht, und der Körper macht es.
Ähnlich ist es bei Allergien oder Unverträglichkeiten natürlich auch. Wir haben irgendwann einmal eine Reaktion des Körpers auf ein Lebensmittel, auf Pollen oder etwas anderes. Wir gehen zum Arzt, kriegen die Beschreibung – was passiert hier? – und das Programm wird in unserem Körper installiert.
Das ist tatsächlich so. In dem Moment, in dem ich anfange, diese Ursache-Wirkungs-Verkettung zu lösen – sei es durch Hypnose, durch Glaubenssatzarbeit, durch tiefenpsychologische Geschichten, durch Aufstellungsarbeiten … Das mache ich jetzt ab und zu, zu gucken: Was liegt denn eigentlich wirklich dahinter? – kann ich auch diese Krankheiten lösen. Da dürfen wir in Deutschland ja nicht von Heilung sprechen. „Heilung“ ist immer Selbstheilung.
Ich kann nur begleiten auf dem Weg herauszufinden: Was ist denn da passiert? Warum hat das Immunsystem diesen Fehler irgendwann gemacht, das abgespeichert? Ein Teil davon ist über Sprache.
Der Arzt sagt mir: «Das ist unheilbar, und Folgendes passiert in Ihrem Körper.» Ich komme nach Hause, fange an zu lesen – Was ist eine Allergie? Was gibt’s für Allergien? – usw. usf. Je mehr ich darüber weiss, desto fester setzt sich das, was ich «habe».
Das Unterbewusstsein spielt bei der Diagnose eine grosse Rolle
Das ist eigentlich, wie Lesen und Schreiben lernen oder, wie Autofahren lernen. Du lernst irgendwas und dann machst du das unbewusst. Ähnlich ist das bei Allergien und Unverträglichkeiten. Der Mensch stellt irgendwann einmal fest: Okay, ich reagiere hier auf irgendwas. Warum auch immer.
Bei Allergien haben wir Antikörper. Das können wir alles nachweisen. Bei Unverträglichkeiten … Ich habe einen stressigen Tag, oder ich habe eine stressige Lebensphase. Ich erlebe vielleicht einen Verlust oder extremen Stress am Arbeitsplatz, Mobbing usw. und fange plötzlich an, bestimmte Lebensmittel nicht mehr zu vertragen, denn Essen ist ja Liebe. Wenn ich im Mega-Stress bin, dann ist das jetzt nicht gerade das, was ich vielleicht auch annehmen kann, tatsächlich.
So komme ich in diese Diagnosespirale rein.
Da wieder herauszukommen war mein Weg.
Dann zu gucken: Okay, was macht mein Körper hier eigentlich an Ursache-Wirkungs-Verkettung? Und das aufzulösen und zu sagen: Nee, Moment, ich will das nicht mehr! Diese Reaktion möchte ich in Zukunft nicht mehr erleben.
Julia: Okay. Also steht am Anfang eigentlich eine bewusste Entscheidung: Ich mache da nicht mehr mit!
Welchen Nutzen hat deine Krankheit für dich?
Nadja: Ich mache da nicht mehr mit. Genau. Ich will das nicht mehr haben! Punkt, aus, Ende.
Dann ist natürlich die Frage: Was will ich denn stattdessen?
Krankheit hat für viele Leute ja auch einen Nutzen. Das darf man nicht vergessen.
Wenn ich Pollenallergiker bin, dann muss ich vielleicht nicht Rasen mähen. Dann muss ich dieses und jenes nicht machen. Das spiegelt sich häufig dann auch im sozialen Umfeld wieder. Solange ich eine Krankheit habe, bin ich plötzlich in der Lage, zu bestimmten Dingen Nein zu sagen, zu denen ich sonst nicht Nein sagen kann.
Weil ich mir zum Beispiel gar nicht bewusst bin, dass ich das nicht will. Es ist bei Vielen so, dass sie gar nicht wissen, dass sie das nicht wollen.
Oder eben dann einfach plötzlich eine Fürsorge erfahren, die sie sonst nicht kriegen würden, wenn sie gesund wären.
Wir haben einen hohen Leistungsanspruch in unserer Gesellschaft, auch in Beziehungen, Partnerschaften, Familien. Perfektionismus. Ich werde nicht geliebt, wenn ich nicht leiste, aber wenn ich krank bin, kriege ich immer Zuwendung, kriege ich immer eine Form von Aufmerksamkeit. Ich stehe dann plötzlich im Mittelpunkt des Interesses. Auch all diese Dinge spielen da natürlich eine Rolle. Diese Sachen aufrechtzuerhalten.
Insofern ist es nicht ein «Nee, ich will diese Allergie nicht mehr haben», sondern da steckt ein ganzes Lebenskonzept mit dahinter. Wie lebe ich eigentlich mein Leben? Was will ich? Wie gehe ich mit meinen Mitmenschen um? Wie gehen meine Mitmenschen mit mir um? Insofern war dann der Übergang zu dem «Okay, wie funktionieren eigentlich unsere Beziehungen? Wie funktioniert Familie? Wie funktionieren Partnerschaften?» für mich mehr oder weniger fliessend.
Aber die erste Entscheidung ist erstmal – und das ist ja bei allem so: «Ich will das nicht!»
Allergie durch Emotionen
Julia: Ich glaube, das ist fast die schwierigste Entscheidung, weil uns natürlich auch beigebracht wird: Wir sind Opfer. «Du kannst nix dafür. Du hast eine Allergie.» Im schlimmsten Fall sagen sie noch: «Das ist genetisch.» Dann kannst du tatsächlich nichts dafür. Und dann kommst du in dieses rein, wenn dann jemand sagt: «Guck doch mal, was du denkst?» Dann kommt oft diese Abwehr: «Willst du mir etwa sagen, ich bin selber schuld an meiner Krankheit?» Dann ist man eigentlich sehr schnell in diesem Opferdenken drin. Ich glaube, darum ist dieser Schritt von «Nee, ich übernehme jetzt die Verantwortung und ich bin bereit, das nicht mehr zu wollen und das loszulassen,» fast der schwierigste Schritt.
Nadja: Früher war es so, dass ab 40 die Allergien weniger wurden. Mittlerweile fangen sie erst in den 50ern, 60ern an! Ich habe da so meine eigene Theorie, warum das so ist. Aber es ist natürlich für die, die wirklich «ab Geburt» – was nicht möglich ist -, aber ab dem 3. Lebensmonat schon Allergien hatten, zu sagen: «Nee, das muss ja genetisch sein!» Aber das Ding ist: Gene kommen nicht zum Ausdruck – das weisst du auch – wenn sie nicht aktiviert werden. Die Frage ist: Was aktiviert das Gen?
Das war jetzt auch meine Arbeit und die Forschung, die ich selber betreibe in diesem Bereich: Was machen Traumata, was machen Emotionen, was macht Familiengeschichte mit unserem Körper, eigentlich mit unserem Leben? Es gibt schlicht und ergreifend keinen Hinweis darauf … Also, ich habe die Gene. Ich hatte Allergien. Ich habe nichts mehr davon. Es muss nicht sein, bloss, weil ich die Gene habe, dass ich die Krankheit entwickele. Und das ist eigentlich bei allen Krankheiten so. Ich brauche einen Auslöser dafür, und die Frage ist: Was ist der Auslöser?
Julia: Spannend. Würdest du aus deiner heutigen Sicht und Erfahrung sagen, dass hinter jeder Allergie immer eine Emotion oder ein Trauma steht? Oder gibt es da Ausnahmen?
Nadja: Ich bin bei der Allergie mittlerweile der festen Überzeugung, dass es eine Traumafolgereaktion ist, absolut. Im Buch habe ich es noch nicht geschrieben, aber nachher zumindest in einigen Publikationen und Kursen, die ich gemacht habe, versucht zu erklären: Ich habe eine Mega-Stressreaktion – also wirklich ein traumatisches Erlebnis -, das Immunsystem fährt auf Vollgas, registriert alles, was da ist, kann in dem Moment aber nichts bekämpfen, speichert aber natürlich trotzdem alles ab. Und wenn dann blöderweise eine Katze anwesend ist oder ein Hund oder Milch oder … keine Ahnung was, dann fängt der Körper an darauf zu reagieren.
Ich habe die Geschichten natürlich gesammelt, auch von meinen Kursteilnehmern. Ich gehe mit denen dahin: «So, pass auf, wann hat das denn eigentlich angefangen? Was war denn damals? Kannst du dich an irgendetwas erinnern?» Wir machen das mit Meditationsübungen oder mit Hypnose: «Pass auf, geh einmal an diesen Punkt zurück.» Wir kommen ja dahin, wenn wir uns entspannen und wenn wir bereit sind für unser Inneres, natürlich, und das ist das, wo viele nicht hinkommen.
Entspannung als Methode, aufs Unterbewusste zuzugreifen
Julia: Genau. Und das sind ja Dinge – muss ich vielleicht noch kurz erklären -, die man vielleicht bewusst nicht mehr sich erinnert. Wenn ich jetzt jemandem sage: «Erinnere dich doch einmal als du zwei Jahre alt warst, was war denn da?» Das weiss man nicht mehr. Aber in der Hypnose gibt es eben die Möglichkeit, da auch diese unterbewussten Erinnerungen hervorzuholen.
Nadja: Ja. Auch in der Meditation. Das muss nicht unbedingt eine Hypnose sein. Ich brauche einen Zustand der Entspannung, um auf das Unbewusste zugreifen zu können. Auch mit der Aufstellungsarbeit. Die findet im Tagesbewusstsein statt. Trotzdem haben die Leute in diesen Momenten, wenn ich mit ihnen arbeite, Erinnerungen. Sie kriegen Alterszahlen, die ihnen kommen usw. Ich muss dann nicht in Tiefenhypnose sein. Bei Hypnose haben ja auch viele dieses Schaudern – «Showhypnose – o Gott, das wird hier manipuliert!» So eine gewisse Abwehr. Ich arbeite mit den Leuten auch gern im Tagesbewusstsein, wenn das einfacher ist, und das ist für viele zugänglicher.
Gerade so zwei Jahre alt und dann ist etwas passiert. Das kann eine Ablehnung von Mama gewesen sein. Es kann einfach ein Moment gewesen sein, in dem man sich erschreckt hat. Ich habe Geschichten von Leuten, da hat die Oma die Katzen auf dem Dachboden umgebracht. Das Kind hat in der Folge eine Katzenallergie. Alle möglichen Geschichten. Der Junge wird vom Opa gezwungen, die Milch zu trinken und kriegt eine Milchallergie. Und, und, und, und, und …
Gesellschaftliche Programmierung
Also, diese mehr oder weniger «Machtausübung» in irgendeiner Folge, die nachher zu emotionalen traumatischen Erlebnissen führt und eben einfach in dem Moment eine Überforderung ist und dann einfach dazu führt, dass so etwas abgespeichert wird. Das lässt sich an diesem Punkt lösen, aber natürlich hängt da noch mehr dran. Es ist ja nicht nur die Körperreaktion, die abgespeichert wird, sondern es gibt meistens auch eine Verhaltensveränderung: Unfähigkeit Nein zu sagen, Grenzen zu setzen, zu wissen: Was will ich eigentlich? Nicht immer nur das zu machen, was die anderen wollen. Dienstleister und Sklave der Familie zu sein, sozusagen, und es allen immer recht zu machen, das ist dann im Verhalten häufig auch wahrnehmbar und sichtbar. Dass man sich auf eine gewisse Art und Weise aufgibt.
Julia: Ja, das hatte mich auch in deinem Interview im Darmkongress so beeindruckt, wo du gesagt hast, wir haben ja so gewisse «gesellschaftliche Programmierungen». Wir streben Dinge an, bei denen wir aus gesellschaftlichen Gründen denken: Das muss ich haben! Haus, Auto, Hund usw., und dass wir danach so streben und dann in Kauf nehmen, dass wir das eigentlich auf Kosten der Gesundheit tun.
Nadja: Ja. Was ist, wenn ich keine Mama bin und drei Kinder in die Welt setze, bloss weil die Gesellschaft glaubt, dass ich mit 37 drei Kinder haben muss, verheiratet sein muss, ein Haus haben muss? Ganz viele Leute, die wirklich darüber ihre Partnerschaften aufs Spiel setzen, weil beide diesem gesellschaftlichen Ideal entsprechen wollen. Das hat einfach eine Auswirkung auf unseren Körper. Wenn ich das nicht bin, wenn das eigentlich nicht das ist, was ich möchte, wenn ich viel lieber … Also das, was ich jetzt gerade mache – ohne festen Wohnsitz mit dem Rucksack durch die Welt zu reisen -, wenn das eigentlich das ist, was ich machen möchte und wie ich leben möchte, weil ich so flexibel bin oder weil ich überhaupt nicht diese ganze Verantwortung für irgendetwas haben will, was nützt es mir dann, wenn ich 60, 70 Stunden die Woche arbeite und dafür das eine oder andere nicht machen kann?
Dieser Leistungsanspruch und Perfektionsanspruch, um vermeintlich anerkannt zu werden ist halt ein ganz grosses Problem. Mega-stress, der vielen Leuten Probleme bereitet.
Falsch programmiert?
Julia: Woher kommt, deiner Meinung nach, diese Diskrepanz? Wenn du die Leute fragst: «Wie wichtig ist dir Gesundheit?» Dann sagen die meisten Leute ja: «Meine Familie ist das Wichtigste, und danach kommt die Gesundheit.» Oder umgekehrt. Alle sagen immer sofort: «Gesundheit ist total wichtig!» Aber wie kommt diese Diskrepanz, dass die Leute zwar immer sagen, dass ihnen das wichtig ist, aber ich total anders verhalten?
Nadja: Naja, du kennst das Gesundheitssystem. Wir leben in einem Gesundheitssystem, in dem alles gefixt werden kann. Also, im Zweifelsfall nehme ich die Pille.
Einer der Gründe, natürlich auch von den Allergien, für mich, von diesem Thema einfach wegzugehen: Ich stehe in Konkurrenz mit Ärzten. Das sind Menschen, die haben Antworten auf eine andere Art und Weise. Interessanterweise sind nicht so viele Leute bereit, Geld für Wissen über Gesundheit, zum Beispiel, auszugeben. Ich habe mich ja von Anfang an entschieden, keine Ergänzungsmittel zu verkaufen. Das alles nicht zu machen, sondern wirklich nur Wissen weiterzugeben, mein Wissen, meine Erfahrung weiterzugeben.
Es ist wirklich schwer, Menschen dazu zu bewegen, Geld in die Hand zu nehmen, um Wissen über Gesundheit zu erwerben. Sie lesen zwar viele Bücher, aber manchmal auch … Wenn du ganz viel über Ernährung gelesen hast, dann kannst du am Ende nichts mehr essen. Auch solche Klienten habe ich ausreichend. Wenn man zu viel weiss, kann das auch wirklich etwas machen und verhindern, gerade eine Freiheit verhindern, die man eigentlich sucht. Aber es ist wirklich schwierig, Menschen zu Verhaltensänderungen zu bewegen, am Ende. Diese Verhaltensänderungen festzustellen: Okay, das bin wirklich ich. Ich bin kein Opfer, sondern in meinem Programm – und wir haben halt dieses Programm, das ist halt einfach so. Wir haben jeder dieses Programm. Unser soziales Setting, Familie, Gesellschaft usw.
In meinem Programm läuft irgendwas, das verhindert, dass ich gesund sein kann. Und diese Verantwortung zu übernehmen und zu sagen, ich gucke mir das jetzt an. Ich bin bereit, nach innen zu gehen. Ich bin bereit, mir anzugucken, was ich eigentlich glaube, was in meinem Leben passiert ist usw., das ist einfach auch ein mutiger Schritt. Zu dem ist nicht jeder bereit. Und das muss auch nicht jeder.
Ich habe das neulich mit einer Kollegin, die auch in dem Thema Darm unterwegs ist, gesagt, das zu akzeptieren, dass nicht jeder heilen will und nicht jeder heilen kann. Das ist natürlich frustrierend, denn ich würde es jedem wünschen. Aber es ist einfach so. Wir haben ein Gesundheitssystem, das seit den 60er, 70er Jahren Tabletten verteilt, und die Leute können mit vielen Medikamenten trotzdem alt werden. Das ist halt so.
Mut zur Heilung
Julia: Und letzten Endes hast du recht. Es ist eben ein Mut auch. Ich glaube, wenn man einmal anfängt reinzugucken, dann kommen halt auch unschöne Gefühle. Auch das hattest du in dem Interview so schön gesagt, dass ja auch ein negatives Gefühl höchstens 10 bis 15 Minuten dauert, d. h. man braucht eigentlich nur den Mut, einfach das mal zu fühlen und dann geht es auch relativ schnell vorbei. Es ist zwar hart vielleicht dadurch zu gehen, aber es ist nicht so, dass es uns umbringt. Es ist tatsächlich auch hilfreich und reinigend, aber es braucht halt diesen Mut, sich da überhaupt hineinzubegeben.
Nadja: Und das Problem ist: Wenn du niemanden dabeihast, wenn du anfängst mit diesen Sachen und du hast niemanden, der dir hilft, dadurch zu gehen. Also gerade auch z. B. das Weinen. Ich habe manchmal Klienten, da sitze ich einfach nur da und bin einfach beim Weinen dabei, weil das allein nicht geht. Weil in der Familie der Mann sagt: «Ich will, dass du glücklich bist.» Das habe ich ja auch gehabt. Immer wollen, dass jemand nur glücklich ist, funktioniert nicht. So funktioniert unser Körper schlicht und ergreifend nicht. Die Tränen sind das Beste, was einem eigentlich passieren kann. Und das ist eine grosse Befreiung, wenn die fliessen dürfen. Diesen emotionalen Raum zu haben, dass jemand da ist, der das aushalten kann und dann nicht sofort mit seinen eigenen Themen konfrontiert ist, das ist eigentlich auch ein grosser Antrieb meiner eigenen Entwicklung, zu sagen, okay, ich möchte jemand sein, der einfach nur dasitzen kann und wo jemand gegenüber sitzt und weinen darf und wütend sein darf und ich nicht sofort Beklemmungen kriege.
Ich kenne es in vielen Kontakten, gerade in meiner Familie, dass das Gespräch schon einmal beendet wird, wenn ich weine.
Julia: Ja, das kenne ich auch.
Nadja: Aber es ist halt immer, wenn man nicht in Kontakt mit den eigenen Gefühlen, mit den eigenen Verletzungen gewesen ist sein ganzes Leben und das alles nicht wissen will, dann ist es schwierig und dann muss man sich vielleicht jemanden suchen, der das kann und wo man sicheren Raum bekommt, um mit seinen Gefühlen leben zu können. Und das ist das, was am Ende gesund macht.
Ernährung ist nur das Eingangstor
Julia: Jetzt ist es ja so, dass du früher gesagt hast – und vielleicht kannst du mal sagen, wie du es heute siehst –, wenn jetzt jemand Allergien hat, um die Symptome erstmal abzumildern oder überhaupt erst einmal dahinzukommen, dass es wieder einigermassen geht, macht es durchaus Sinn, die Ernährung umzustellen und gewisse Ergänzungsmittel, Probiotika, Vitamine, solche Sachen zu nehmen. Würdest du das heute immer noch so empfehlen? Kann die Ernährung dieser erste Schritt sein oder würdest du heute sagen, nö, man kann das auch ganz anders machen?
Nadja: Grundsätzlich kann man es auch ganz anders machen. Aber ganz ehrlich: Meine eigene Erfahrung ist, dass man eine gewisse körperliche Stabilität braucht, ein gewisses Potenzial, um an die tatsächlichen Ursachen heranzugehen. Wenn du die ganze Zeit mit Verdauungsbeschwerden, Durchfällen und solchen Dingen zu tun hast, dann ist das einfach nicht gegeben. Deswegen glaube ich schon durchaus, dass es für viele sinnvoll ist, die Ernährung umzustellen, um den Körper dann in einen Zustand zu bringen, in dem ich dann emotionale Arbeit machen kann. Denn die ist anstrengend. Was wir gerade gesagt haben: Selbst 15 Minuten Weinen oder Wut auszuhalten ist anstrengend. Das ist anstrengend. Und das kann ich nicht machen, wenn ich am Boden liege. Kann ich auch machen, geht schon, aber es ist trotzdem wahnsinnig anstrengend, und dann fühlt es sich noch mehr nach Sterben an, als es sowieso schon tut.
Wenn ich mit Nahrungsergänzungsmitteln, mit meiner Ernährung, einen Zustand herstellen kann, in dem ich stabil genug bin, um emotionale Arbeit machen zu können, dann halte ich das durchaus für richtig.
Es ist nicht der Weg für jeden.
Julia: Nicht für jeden, aber ich glaube für viele. Das ist eigentlich genau meine Philosophie. Ernährung ist eigentlich nur das Eingangstor. Deswegen finde ich sie nach wie vor sehr wichtig, und ich finde, dass viele Leute wahrscheinlich die Zeit überschätzen, die sie brauchen werden, um sich besser zu fühlen. Es geht nämlich viel schneller als viele befürchten. Es ist wirklich nicht selten, dass jemand nach einer Woche schon sagt: «Ich kann wieder besser atmen», oder was auch immer die Beschwerden waren.
Ich habe gerade jetzt jemanden, der nach einer Woche schon keine Gelenkschmerzen mehr hat. Wenn jemand keine Schmerzen mehr hat, dann ist er doch auch bereit dafür, auch einmal andere Themen anzusprechen, für die er vorher gar keine Energie hatte. Ich sehe das eigentlich ähnlich.
Ich würde jetzt auch wirklich allen Zuhörerinnen und Zuhörern empfehlen, sich das Interview aus dem Online-Darmkongress einmal noch anzuhören, denn da gibt Nadja ganz konkrete Hinweise, wie man sich ernähren kann, was man einmal probieren kann, um sich eigentlich relativ schnell wieder besser zu fühlen. Also, das finde ich ist sehr, sehr lohnenswert, sich das einmal anzuhören.
Online Workshops mit Nadja Polzin
Vielleicht magst du noch so ein bisschen beschreiben, was du jetzt machst. Obwohl ich jetzt schon so ein bisschen reingeguckt habe, ist das auch für mich noch nicht 100 Prozent klar: Du bietest ja auch Workshops an. Ich habe gesehen, es gibt auch so ein Gruppenprogramm, wo man, glaube ich, bis zu 30 Leuten ist. Was macht man da genau? Was muss man sich darunter vorstellen?
Nadja: Genau. Was mein Herzensthema immer war und auch der Weg für mich gewesen ist, ist einfach mit Menschen in Kontakt zu kommen. Wir können uns alleine zwar verändern, wir können meditieren, wir können in die Hypnose gehen usw., aber sich selbst zu reflektieren passiert im Kontakt mit anderen Menschen. Wenn ich feststelle: Da habe ich Hemmungen. Da hab‘ ich Hürden. Da habe ich Angst vor usw.
Das möchte ich für jeden anbieten, der nicht unbedingt in Berlin, München oder Hamburg wohnt und dort immer Zugang zu solchen Angeboten hat. So ein bisschen hat Corona für mich einen Vorteil gehabt, weil Zoom jetzt plötzlich auch in der Breite angekommen ist, dass alle Menschen das nutzen. Jetzt mache ich das einfach online.
Ich mache die Workshops online. Das heisst, einmal im Monat – jeden 3. Sonntag von 10:30 Uhr bis 14:30 Uhr – gibt’s bei mir zu einem Thema einen Workshop, wo wir Reflexionsarbeit machen. Der nächste ist jetzt zum Beispiel im Oktober, das ist «Sinn finden», ein wichtiges Thema, dieses «Was will ich eigentlich?». «Sinn finden und leben». Dann gibt es «Lebensplanung», das haben wir dann im November, und «Fülle» und solche Themen. Also, wirklich so Lebensthemen einfach, über die wir sprechen, wo ich Fragen stelle, wo die Leute miteinander diskutieren können. Ich habe immer eine Menge Übungen parat, wo dann auch reflektiert werden kann und auch einmal so ein bisschen tiefergegangen werden kann.
Zum Beispiel, etwas aussprechen zu können, was viele Leute natürlich nicht können. Wir verstecken unsere Scham, zum Beispiel. Jeder hat irgendwas, wofür er sich schämt, weil wir eben perfekt sein wollen. Das einmal auszusprechen löst es schon emotional. Das einmal irgendjemandem, einem Wildfremden, zu erzählen, wofür ich mich so schäme, kann eine unglaubliche Veränderung auslösen, denn ich stelle fest: Ich sterbe nicht, wenn ich das zeige. Das macht unglaublich viel mit dem Selbstbewusstsein.
Das ist der Ansatz für mich, die Workshops anzubieten und zu sagen, ich möchte diesen sicheren Raum bieten, wo Menschen mit sich selbst und mit anderen auf dieser Ebene in Kontakt kommen können, weil das im Freundeskreis, Familie, häufig nicht möglich ist.
Das Zweite, das ich mache, sind Aufstellungsarbeiten nach der Anliegen-Methode. Das ist trauma-therapeutische Arbeit. Also, man kann eigentlich sagen, da gehen wir an den Ursprung zurück und schauen uns genau an: Woher kommt das eigentlich? Was ist im Unbewussten zum Beispiel mit der Allergie verknüpft, mit bestimmten Themen. Übergewicht, Untergewicht: Was hängt da dran? Meistens gibt es da eine familiäre Prägung, die da irgendwie mit reinspielt.
Julia: Und wie findet man das? Wenn man jetzt sagt: «Oh, das klingt gut, das mit dem Sinn finden.»
Nadja: Auf meiner Webseite www.nadjapolzin.com. Da sind alle Termine drin. Da kann man sich das auch alles durchlesen und angucken, was Thema ist, und ob einen das jetzt anspricht. Es gibt wirklich einmal im Monat einen Workshop. Ansonsten natürlich auch immer gern in der Einzelarbeit.
Julia: Das bietest du auch an?
Nadja: Das biete ich auch an, genau. Da gibt es auf der Webseite die Möglichkeit ein kostenloses Erstgespräch zu führen. Wer mit mir arbeiten möchten.
Julia: Und das geht auch online?
Nadja: Das geht alles. Ich mache alles online. Wie ich vorhin gesagt habe: Ich bin ja momentan tatsächlich reisend. Für mich geht es jetzt nächste Woche nach Südeuropa, und ich freue mich, egal, wo ich bin, mit den Leuten arbeiten zu können.
Julia: Ja, Klasse. Vielen Dank. Ich fand das superspannend. Schön, dass du so einen tollen Weg eingeschlagen hast und alles so stimmig ist und ineinanderpasst. Es ist, wie du selbst gesagt hast, einfach eine Weiterentwicklung. Es ist keine 180-Grad-Wende. Das eine ist aus dem anderen entstanden.
Nadja: Ja. Leben passiert. Und das, was man lernt, kann man dann weitergeben.
Julia: Vielen lieben Dank für das tolle Gespräch. Ich freue mich sehr, wenn wir in Kontakt bleiben.
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